Nun soll die vorgezogene Bundestagswahl also am 23. Februar 2025 stattfinden. Ich wundere mich immer noch, warum ausgerechnet die Union ein so großes Interesse hat, so schnell wie möglich, am liebsten aber gleich übermorgen zu wählen. Klar, die Welt zerfällt in fünftausend Scherben, die Ampel geht geschlossen den Bach die Spree hinunter. Ausgerechnet am Mittwoch warf Donald Trump als President Electric das Zepter des Anführers der westlichen Welt nach Berlin und Berlin das Handtuch, ja, da stimme ich zu: Wir können uns jetzt keine Hängepartie leisten, Deutschland hat einen Anspruch auf eine funktionierende Bundesregierung.
Anspruch auf eine funktionierende Regierung — und eine geordnete Wahl
Worauf Deutschland ebenfalls Anspruch hat: Eine geordnete Wahl, bei der sich jeder sicher sein kann, dass alles seinen geregelten Gang geht.
Wir haben bei der Berliner Wiederholungswahl am 11. Februar 2024 die Konsequenzen gesehen, die drohen, wenn eine Wahl nicht ordnungsgemäß abläuft: Das Vertrauen in unsere parlamentarische Demokratie wird — wieder einmal — beschädigt. Die Wählerinnen und Wähler blicken auf unsere Demokratie, aber sie erblicken ein Tollhaus, das nicht einmal eine Wahl geregelt kriegt, ohne dass alles auseinander fliegt.
Ich möchte gar nicht die Dringlichkeit einer funktionierenden Bundesregierung in Frage stellen, denn angesichts der Gleichzeitigkeit der Krisen können wir uns tatsächlich keine Minderheitsregierung leisten, die noch nicht einmal eine Tagesordnung beschließen kann.
Nun droht Trump im Westen und Putin im Osten, aber beide sind bekanntermaßen erfahrene Profis, die offenbar Hand in Hand arbeiten können, sobald es darum geht, die Integrität einer Wahl in Frage zu stellen und die Fundamente der Demokratie zu schleifen. Ich bin mir sicher, in Putins Trollfabriken ist man nicht so richtig froh über die weihnachtliche Urlaubssperre direkt nach der anstrengenden US-Wahl.
Insofern habe ich momentan den Eindruck, dass uns eine rechtlich einwandfreie Wahl ein paar Tage Verzögerung wert sein sollte. Ich mag mir das Chaos Ende Februar gar nicht ausmalen, wenn die zuständigen Verfassungsgerichte mit Anträgen zur Bundestagswahl überschwemmt werden: Wir wollten schnell wählen, um Chaos zu vermeiden, aber haben Chaos bekommen, weil wir schnell gewählt haben. Hurra.
Was kann schon passieren?
Das Grundgesetz nennt einige Fristen für das Prozedere, das wir gerade erleben: Art. 68 Abs. 2 GG sieht zunächst einen Zeitraum von 48 Stunden zwischen dem Antrag und der eigentlichen Abstimmung zur Vertrauensfrage vor. Findet dieser Antrag keine Mehrheit, so hat Bundespräsident Steinmeier 21 Tage Bedenkzeit, ob er den Bundestag wirklich auflösen möchte oder sich die einzelnen Protagonisten noch mal zur Brust nimmt (Art. 68 Abs. 1 GG). Nach Auflösung des Bundestages verlangt Art. 39 Abs. 1 GG eine Neuwahl binnen 60 Tagen.
Das eine sind die Fristen, die das Grundgesetz vorsieht. Das andere ist die eigentliche Umsetzbarkeit. Erlauben wir uns bei der Umsetzung allzu große Fehler, wir die Wahl angefochten und ich denke, niemand möchte Berliner Wiederholungswahlverhältnisse im ganzen Land, nicht wahr?
Ich will mich gar nicht in die Debatte einmischen, ob wir in einem Land, in dem es nicht einmal genügend Verkehrsschilder gibt, in der Lage sind, genügend Stimmzettel für eine Bundestagswahl zu drucken, oder ob ausländische Lkw-Fahrer die Feiertage lieber zu Hause verbringen als deutsche Stimmzettel durch die Gegend zu fahren oder ob der Amtsschimmel gern während der Feiertage arbeiten möchte oder wer abertausende, nein, hunderttausende Wahlhelfer zeitnah schulen soll.
Was ich aber durchaus problematisch sehe, sind die Aufstellungsversammlungen der einzelnen Parteien. Es gibt in unserer Bundesrepublik 299 Wahlkreise, also wird jeder Kreisverband jeder Partei versuchen, fristgerecht einen Direktkandidaten aufzustellen, sofern noch nicht geschehen (soll ja einzelne Parteien geben, die schon ziemlich genau wussten, was uns wann bevorstehen wird). Zu einer solchen Aufstellungsversammlung wiederum muss rechtzeitig geladen werden, was je nach Satzung des Kreisverbandes auch noch in Papierform stattfinden muss.
Womöglich enthalten die Satzungen der einzelnen Kreisverbände auch noch weitere Bedingungen, etwa die Mindestanzahl an Parteimitgliedern, die natürlich alle ihren Mitgliedsbeitrag bereits bezahlt haben müssen und so weiter und so fort. Und womöglich hat so manch einer in der besinnlichen Weihnachtszeit seinen Terminkalender prall gefüllt und nicht so richtig Lust, mal eben schnell einen halben Tag lang im kleinen Ballsaal des Sportlerheims absitzend eine Kandidatin zu wählen.
A propos Weihnachten: Find mal überhaupt einen geeigneten Ort für eine solche Wahlveranstaltung. Klar, zehn Leute kriegt man schnell irgendwo unter, notfalls trifft man sich bei irgendwem zu Hause (oha, wie ist das da mit der Öffentlichkeit?), denn Restaurants, Vereinsheime und andere Lokalitäten sind mit Weihnachtsfeiern so gut wie ausgebucht.
Außerdem müssen die Kreisverbände Delegierte für die Aufstellung einer Landesliste wählen und für diese Wahlveranstaltung muss der jeweilige Landesverband fristgerecht in eine geeignete Lokalität laden. Da reden wir jetzt nicht mehr vom Vereinsheim, hier muss eher eine kleine Messehalle angemietet werden.
Jeder Fehler, jede nicht eingehaltene Frist, jede nicht ordnungsgemäße Ladung, fehlerhafte Wahl, jeder flasch geschierbene Name kann juristisch angegriffen werden mit dem Ergebnis, dass die Liste ungültig ist oder eine Direktkandidatin nicht antreten kann. Wir bewegen uns hier ohnehin auf ganz dünnem Eis, das in diesem Winterwahlkampf wahrlich nicht dicker geworden ist.
A propos Kleinparteien: Wer nicht im Deutschen Bundestag oder im jeweiligen Landtag vertreten ist, muss erst einmal Unterschriften sammeln, und zwar von mindestens 0,1 Prozent der Wahlberechtigten des jeweiligen Bundeslandes. Normalerweise haben Kleinparteien für diese Unterschriftensammlung 60 Tage Zeit.
Ich bin mir unsicher, ob Weihnachtsmärkte ein dankbarer Ort für Unterschriftensammlungen sind — einerseits trifft man viele Wahlberechtigte auf einem Haufen, andererseits dürfte mit jedem Becher Glühwein die Bereitschaft sinken, mit tiefgefrorenen Händen einer Kleinpartei eine Unterschrift zu schenken.
Und jede Wahlkämpferin wird sich ganz besonders bedanken: Bis auf weiteres findet der Bundestagswahlkampf ab sofort immer zu Weihnachten statt. Das kann man sich gar nicht mehr am Glühweinstand schöntrinken.
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