Kanzlerera

Ich weiß nicht, ob eine Partei, die in den bundesweiten Umfragen irgendwo zwischen 9 und 11 Prozent oszilliert, tatsächlich einen Kanzlerkandidaten aufstellen muss oder ob man sich öffentlich lächerlich macht und sich selbst ohne Not demontiert. Das können andere Menschen, die sich besser mit Politik auskennen, besser prognostizieren und Ergebnisse der nächsten Bundestagswahl, wann immer sie im nächsten Jahr denn stattfinden mag, besser beurteilen.

Immerhin beweisen die ersten Reaktionen empörter Hutbürger und der durch die Bank entsetzten Springerpresse, dass eine Kanzlerkandidatur Aufmerksamkeit bringt, in Zeiten wie diesen die wichtigste politische Währung direkt nach den Wahlergebnissen.

Und sie öffnet eine Wundertüte vieler schöne Vorteile. Man wird bestimmt häufiger in diverse Talk-Shows eingeladen und sichert sich einen Startplatz bei so genannten Kanzler-Duellen, bei denen ich gespannt bin, welchen lustigen Begriff man sich nach der Wortschöpfung „Triell“ aus dem Bundestagswahlkampf 2021 dieses Mal ausdenken wird — zumal bei vier bis fünf Kandidaten wohl kaum eine Art des Schlagabtausches zu erwarten sein wird, die in irgendeiner Art und Weise mit Duell zu beschreiben wäre (wobei natürlich offen ist, ob Frau Wagenknecht, die als Berufspolitikerin an einer gewissen Angst vor dem Regieren leidet, ernsthaft eine Kandidatur als Regierungschefin erwägen wird).

Den miserablen Zustand dieser Zeit, die Welt dürfte insgesamt in weit schlimmerer Verfassung sein als die Bundesrepublik, summt Habeck am Küchentisch einfach weg, Aufbruch, Hoffnung, vielleicht sogar Sieg, und weil eine Kanzlerkandidatur nunmal Aufmerksamkeit bringt und davon ganz schön viel, wurde ihm das Summen allzu fröhlicher Melodien selbst am privaten Küchentisch flugs untersagt. Es sind nunmal ernste Zeiten, da gibt’s nicht viel zu spaßen, weder mit dem Lindner noch mit Grönemeyer.

Aber Habeck lächelt. Und ich finde, das ist in Zeiten wie diesen eine viel zu selten gezeigte Geste, im Duell Triell Schlagabtausch zwischen lauter drei bis vier erfahrenen Berufsschlechtrednern geradezu ein Alleinstellungsmerkmal. Die Welt ist am Arsch, wir wissen’s mittlerweile, wirklich total am Arsch, und wir haben keine Chance, aber wir nutzen sie trotzdem.

Es bleibt uns schließlich nichts anderes übrig.

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