Die Fritzchenfrage

Die Union, deren Grundsatzprogramm von einer gewissen Sehnsucht nach Stillstand gezeichnet ist, hat es plötzlich sehr eilig: Neuwahlen sollen her, am besten sofort, und hätte das Grundgesetz nicht diese lästigen Fristen und Schloss Bellevue einen sozialdemokratischen Bewohner, warum nicht gleich übernächsten Sonntag? Totensonntag passt prima zu der dystopischen Endzeitstimmung, die die Union gerne verbreiten möchte.

Ich beginne diese Woche mit einer mutigen These, von der ich selbst noch nicht so ganz überzeugt bin, die auch echt ein bisschen doll nach Verschwörung riecht, aber die Puzzleteile, die uns die Union stückchenweise hinwirft, lassen mich schon ein erstes Bild schemenhaft erkennen: Die Union möchte mit der AfD zusammenarbeiten, ist aber zu feige, es endlich zuzugeben.

Die Sondierungsgespräche für eine sächsische Landesregierung zwischen SPD, CDU und SPD sind vor einigen Tagen gescheitert — bis zum 3. Februar verlangt Art. 60 der Sächsischen Landesverfassung einen Ministerpräsidenten, sonst wird neu gewählt.

Nun grübeln SPD und CDU über eine Minderheitsregierung, die mit 51 Sitzen ein ganz gutes Stück von einer einfachen Mehrheit mit 61 Sitzen entfernt ist. Ließe sich die CDU hingegen von der AfD tolerieren (eine Koalition kann ich mir beim schlimmsten Willen nicht vorstellen), käme man hingegen mit 81 in den Genuss einer Zweidrittelmehrheit, mit der man viele schön und nicht so schöne Dinge beschließen könnte.

Diesen Abriss der Brandmauer möchte die Union aber sicherlich nicht vor der Bundestagswahl proklamieren, um die komfortable Spitzenposition in den aktuellen Umfragen nicht zu gefährden.

Ließe sich Scholz bis Mitte Dezember zu einer Vertrauensfrage hinreißen, so könnte die Bundestagswahl am 2. Februar stattfinden, so dass die sächsischen Christdemokraten einen Tag später siegestrunken mit AfD-Unterstützung einen CDU-Ministerpräsidenten wählen könnten, der dann sogleich die ersten Löcher in die Brandmauer schlägt.

Christdemokratischer Betriebsunfall

Abgesehen davon läuft die Uhr auch in Berlin gegen die Union, beziehungsweise deren mittelschichtigen Kanzlerkandidaten Merz (er wird übrigens morgen 69 Jahre alt): Eine Zusammenarbeit mit der künftigen rot-grünen Minderheitsregierung dürfte sich im Wahlkampf schlecht verkaufen lassen: Wenn man den Scholz drei Monate lang toleriert, warum dann nicht bis zum September?

Andersherum schmückt es eine angeblich so staatstragende Partei nicht besonders, den politischen Prozess nach dem Scheitern der Ampelregierung weiter zu beschädigen, einer Minderheitsregierung jegliche Zusammenarbeit zu verweigern, sei es aus Trotz oder als Druckmittel zur Neuwahl. Die Union wird sicherlich schon den Rechenschieber bemüht und rausgekriegt haben, dass die Scholzregierung ohne freidemokratische Stimmen nicht einmal in der Lage ist, eine Tagesordnung für das Parlament aufzustellen. Ungünstigerweise warten aber einige durchaus relevante Gesetzesvorlagen zur Abstimmung, etwa die dringend notwendige Resistenz des Bundesverfassungsgerichts oder der Abbau der Kalten Progression. Würde die Union tatsächlich im Interesse auf schnell anberaumte Neuwahlen tatsächlich auf einen Schutz des Bundesverfassungsgerichts pfeifen?

Allerdings hat die Union auch keinen eigenen Gestaltungsspielraum, um mit der unverhofft in die Opposition geplumpsten FDP und dem lustigen BSW eigene Anträge vorzubereiten, weil Merz immer damit rechnen müsste, von alternativdeutschen Wahlkampftaktikern attackiert zu werden — und eigene Vorhaben mit Stimmen der AfD durchs Parlament zu bugsieren dürfte sich im Wahlkampf noch schlechter verkaufen lassen.

Deshalb wird sich Merz auch nicht versuchen, sich über ein konstruktives Misstrauensvotum zum Kanzler wählen lassen: Seine Kanzlerschaft begönne als christdemokratischer Betriebsunfall, denn die AfD würde mit Freude ihre einmalige Chance ergreifen und für einen Kanzler Merz stimmen — um ihn dann bis zum regulären Wahltermin im September eiskalt auflaufen zu lassen, denn die Mehrheitsverhältnisse im Parlament ändern sich dadurch nicht.

Alles Gute zum Geburtstag, Friedrich, aber nun sag, wie hast du’s mit der AfD?

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